Ein kleines Dörfchen in Podlasien. Zwei Dutzend frisch renovierte Holzhäuser mit schmuckvollen Ornamenten laden in ihre buntblühenden Bauerngärten ein. Eine ältere Frau bringt selbstgemachte Limonade und ihr Mann holt selbstgeräucherten Käse aus ihrem kleinen Laden. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite verkauft eine Frau in traditioneller Tracht, in der hier alle gekleidet sind, selbstgebastelte Andenken. Ein paar Jugendliche führen Touristengruppen durch das Dorf und zeigen ihnen einen kühemelkenden Bauern, einen brotteigknetenden Bäcker und einen holzornamenteschnitzenden Schreiner. Alles sieht so aus, als hätte es die letzten 100 Jahre nicht gegeben.
Sieht so die Zukunft des ländlichen Raumes in Polen (und vielleicht auch in Deutschland) aus?
Wird es nur noch Museumsdörfer geben, deren Bewohner als Schausteller und Wachsfiguren arbeiten und an längst vergangene Zeiten erinnern? Bleibt uns das Land nur noch als Region, deren Existenzgrundlage allein der Tourismus und die Nostalgie (westlicher) Besucher ist?
Natürlich ist evident, dass der ländliche Raum in Polen wie auch in Deutschland mit großen Problemen zu kämpfen hat. Namentlich sind dies vor allem Überalterung, Arbeitslosigkeit, Abwanderung, Verfall von Bausubstanz und stetig abbauende Infrastruktur. Nun kann man aufgrund der historischen Entwicklung und der regionalen Hintergründe nur schwerlich direkte Vergleiche ziehen zwischen dem nichturbanen Raum in Deutschland und dem in Polen. Schließlich sind abgelegene Dörfer mit 10 Häusern eher eine Seltenheit und tendenziell eher noch in Niedersachsen oder im Allgäu zu finden, in Polen jedoch scheint es sie zu Hauf zu geben. Aber welche Entwicklungsmöglichkeiten haben Orte wie Soce, Puchły oder Teremiski, wenn die ursprünglichen Siedlungen nicht einmal auf Landwirtschaft basierten, sondern die Menschen dort eigentlich nur auf Geheiß des Zaren zur Wisent- und Puszczapflege angesiedelt wurden?
Was für ökonomische Chancen bieten sich - abgesehen vom Tourismus - überhaupt, wenn sich dort nicht einmal Kleinunternehmertum etablieren konnte? In Deutschland sieht es da in vielen Regionen etwas besser aus: in jenen Teilen, die nicht von der DDR-LPGisierung betroffen waren, konnte die ursprüngliche Landwirtschaft mit ihren kleinen Höfen überleben. In den ehemaligen DDR-Gebieten führte die LPGisierung dafür dazu, dass die Idee der genossenschaftlichen Landwirtschaft teilweise die finanziellen Probleme der Kleinbauern lösen konnte und so die Produktion am Laufen und wettbewerbsfähig hielt. Hinzufügen muss man wohl auch, dass z.B. in Sachsen, wo nach 1989 viele Wirtschaftszweige mit dem Untergang der DDR wegfielen, sich der Mittelstand wieder recht gut erholen konnte. Man definierte sich neu, entdeckte neue Produktionszweige und findet sich heute überraschender Weise unter den wirtschaftlich dynamischsten Bundesländern wieder.
Und in Polen? Gerade die ohnehin ärmeren Gebiete Ostpolens wurden selbst von den Kommunisten noch mehr vernachlässigt, was zu noch größerer Armut (auch nach 1989) führte. So sah man sein einziges Heil im aufkommenden Tourismus, der langsam auch die unberührte Natur der Region für sich entdeckte. Doch warum sieht diese Entwicklung derzeit so einseitig aus? Warum entsteht kaum Kleinunternehmertum? Was ist der Grund, dass sich in dieser Region so gut wie gar keine mittelständischen Unternehmen ansiedeln? Statt sich nur auf den Vor-Ort-Tourismus zu beschränken, hat man z.B. bei der Vermarktung regionaler Produkte noch recht viel Spielraum. Eine andere Frage wäre z.B., warum das regionale Bier Żubr nicht nur in Białystok (oder größeren Orten der Umgebung) produziert wird, sondern auch in Poznań.
Vermutlich gäbe es neben eben diesem genannten Bier und dem Exportschlager Żubrówka (in Deutschland auch als "Grasovka" bekannt) noch einige andere traditionelle Lebensmittel, die den Sprung auf den gesamtpolnischen Markt schaffen könnten. Sieht man sich beispielsweise in Deutschland den Schwarzwälder Schinken oder die Schwarzwälder Kirschtorte an, so hat man hier ein gutes Exempel, wie erfolgreich überregionale Vermarktung sein kann. Auch die Bekanntmachung und der Verkauf von Textilien oder ähnlichen Artikeln mit den traditionellen Holzornamenten wäre eine Idee. Schließlich ist auch die Region um Łowicz vor allem durch Papierartikel und Textilien mit traditionellen Mustern bekannt geworden. Doch für all diese Ideen und Möglichkeiten braucht es letztlich immer Antriebsriemen, d.h. motivierte und engagierte Menschen, die den Mut haben, Initiativen zu starten. Und an denen dürfte es in den verlassenen Dörfern Podlasiens vielleicht mangeln. Und so absurd und einseitig die Vision von Herrn Stepaniuk wirkt, so ist vielleicht gerade dies das passende Konzept für diese Region... und vielleicht auch das einzig machbare und erfolgreiche. In Ostdeutschland scheinen sich diese vielen kleinen Initiativen übrigens immer mehr auszuzahlen: die Zahl der jungen Menschen, die in die Region zurückkehrt, nimmt stetig wieder zu. Es ist also noch nicht alles verloren, wenn es um die Zukunft des ländlichen Raumes geht.
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Die Begegnung "Treffpunkt Białowieża - ein Ort für Mensch und Natur" wird ermöglicht durch die finanzielle Unterstützung des Deutsch-Polnischen Jugendwerks im Rahmen des Wettbewerbs "Treffpunkt übermorgen - Spotkajmy się pojutrze" sowie der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit.
Die Zukunft des ländlichen Raumes hängt doch nicht von Menschen und Arbeitsplätzen ab, sondern von Tieren und Pflanzen. Mir sind Länder wie Neuseeland oder Kanada lieber(dynamische Metropole + unberührte Natur), als das westeureuropäische Modell mit seinem dichten Netz tausender Dörfer und Kleinstädte, in die man Milliarden Steuergelder für Infrastruktur pumpen muß. Bleibt zu hoffen, daß sich Polen für das richtige Modell entscheidet und nicht krampfhaft versucht mit Steuern und EU Fördergeldern nutzlose Dörfer am leben zu erhalten.
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